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Was der Lockdown für uns bedeutet

Für Rainer bedeutet der Lockdown nach wie vor Homeoffice. Da hat sich seit März 2020 nichts geändert. Dabei ist es auch ganz egal, ob Rainer mit Hämophilie nun zur Risikogruppe gehört oder nicht.

Denn für seine Kollegen ohne Hämophilie gilt das gleiche, wie für ihn: Homeoffice seit Monaten, alle Kundentermine vor Ort finden digital statt und das Firmengebäude ist für die meisten Mitarbeiter geschlossen.

Von allem mehr: Homeoffice, Lärm und Flexibilität

Das heißt, die übliche Geräuschkulisse und Hektik eines Firmenbüros findet sich nun zu Hause: Telefonate mithören, die Geräusche von Türen beim Öffnen und Schließen, der „Kaffee-holen-Laufverkehr“. Was geblieben ist: Planungen ständig über Bord werfen. Das war auch vor Corona nicht anders, weil Rainer eigentlich im Außendienst tätig ist und Termine da auch relativ kurzfristig vereinbart werden. Zu der flexiblen Kundenterminplanung kommt, dass Rainers Gelenk- oder Fußschmerzen oft genug auch unsere privaten Vorhaben durchkreuzt haben.

Für unseren Herrn Sohn bedeutet es, dass er nicht in die Kita kann und seine Spielmöglichkeiten mit anderen Kindern ebenfalls sehr eingeschränkt bzw. nicht vorhanden sind. Doch er scheint es locker zu nehmen. Er baut zu Hause seine Verkehrs- und Einsatzlandschaften auf und macht die passenden Geräusche dazu. Und das kann er problemlos über einige Stunden. Wer in der Nähe der Feuerwehr, Polizei oder einer Rettungsstation wohnt, ahnt, was ich meine. Manchmal fühle ich mich, als würde ich in einer Einsatzleitstelle einer Metropole wohnen.

Noch mehr Traubenzucker, Papier und Buntstifte

Da bieten sich als kleine Abwechslung die Spaziergänge zur Apotheke an, um Rainers Hämophilie-Medikament abzuholen. Ich habe den Eindruck, dass sich Herr Sohn jedes Mal mehr Traubenzucker „verdient“, wenn er das Rezept dort abgibt. Den gleichen „Verdienst“ gibt es dann nochmal bei der Post, weshalb er nun immer darauf besteht, Briefe und Päckchen persönlich abzugeben. 

Wieder zu Hause geht es für unseren Sohn entweder gleich in den „Einsatz“ oder an den Schreibtisch. Schon im ersten Lockdown hat er das Malen erstmals für sich entdeckt. Davor war Malen kein Thema. Nun malt er sich seit bald einem Jahr fleißig durch unsere Vorräte an Druckpapierpackungen. Die Buntstiftpackung, die ich mir mal vor Jahren angeschafft hatte und die seitdem ein tristes Dasein in einer Kiste fristete, hat er zu neuem Leben erweckt. Inzwischen musste ich zwei weitere Großpackungen Buntstifte besorgen. Herr Sohn hat viele Fahrzeugmalvorlagen aus dem Internet teilweise schon dreimal ausgemalt. Daher sind wir dazu übergegangen, gewöhnliche Fahrzeugfotos mittels Bildbearbeitung in Bleistiftzeichnungen umzuwandeln. Damit hat er wieder genug zum Ausmalen.

Sich „weiterbilden“ mit Kind

Daneben haben wir uns einen Stapel DVDs mit Lehrfilmen angeschafft. Also schauen wir uns an, wie Polizei und Feuerwehr arbeiten, welche Ausrüstung und Fahrzeuge sie haben. Selbst als erwachsene Person lernt man einiges dazu, wenn das eigene Kind von einem HLF und einer DL spricht (dahinter verbergen sich ein Hilfeleistungslöschfahrzeug und eine Drehleiter). Nachdem wir uns schon fünfmal das gleiche Thema angeschaut haben, lassen Herr Sohn und ich uns zur Abwechslung erklären, wie ein Container-Stapler, eine Schneefräse und ein Holzvollernter funktionieren. Als Eltern möchte man ja mit seinem Kind mitreden können und wenn Herr Sohn in der Kita ist, fehlt oft die Zeit für derartige gemeinsame „Weiterbildungen“.

Tanzen mit Hund, Kind und Kegel

Ich selbst tanze gerne. Das ist für Rainer mit seinen Gelenk- und Fußschäden nichts. Daher bin ich froh, dass ich die Tänze „allein“ tanzen kann. Vor Corona bin ich dafür in die Tanzstudios gefahren. Da diese nun geschlossen sind, finden die Kurse digital statt. Dabei hat Herr Sohn das Tanzen ebenfalls für sich entdeckt oder zumindest, was er für „Tanzen“ hält. Ihm macht es nichts aus, dass er als Fünfjähriger im Tanzkurs für Erwachsene mitmacht und im nächsten Kurs unter Neun- und Zehnjährigen das Bein hochschwingt. Dass er das einzige männliche Wesen in den Kursen ist, ist ihm auch völlig egal. Routiniert wirft er seine Beine und Arme in die Höhe, versucht sich an Drehungen und biegt sich nebenbei vor Lachen. Für ihn eignet es sich prima als Kinderturnersatz und Entertainment.

Bei den anderen Tänzerinnen wirkt es ähnlich „improvisiert“. Ich habe schon mehrfach den Hund der Tanzkursleiterin durch das Kamerabild spazieren und am Pailletten-Hüfttuch seiner Besitzerin schnuppern sehen (Ob es sich als Hundespielzeug eignet?). Die anderen schieben Möbel hin und her, um sich Platz zum Tanzen zu schaffen oder kämpfen mit den Unwägbarkeiten der Technik und der Internetverbindung.

Mein Fazit bisher: Ja, es nervt einiges in dieser Zeit, auch wenn es im Moment nicht anders geht. Aber mit einem anderen Blick lässt sich auch viel Neues, Lustiges und Spannendes in dieser Situation finden. Ich hoffe, auch ihr findet in dieser schwierigen Zeit etwas Schönes, Lustiges oder Spannendes in Eurem Ausnahme-Alltag.

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