Mit Hämophilie A in der freien Wirtschaft arbeiten – Teil 1 1

Mit Hämophilie A in der freien Wirtschaft arbeiten – Teil 1

Ihr fragt Euch, welche beruflichen Chancen Ihr mit Hämophilie habt? Ihr befürchtet Schwierigkeiten oder Nachteile, wenn Ihr Euch bei Unternehmen um eine Arbeitsstelle bewerben möchtet? Ich habe Rainer zu seinem Berufsweg in der IT (Informationstechnik) bei Unternehmen der freien Wirtschaft befragt.

Rainer spricht über seinen Weg in die IT-Branche und wie seine Bewerbungsgespräche abliefen. Ihr erfahrt, welche Rolle die Hämophilie A bei der Bewerbung spielte und wie ihn seine Arbeitgeber unterstützten.

  1. Was wolltest du werden?

Ich wollte Profi-Musiker werden mit einer eigenen Band. Schon als Kind habe ich Klavier gespielt, später Keyboard. Mit 16 hatte ich meine eigene Band, mit der ich auf Partys spielte.

2. Welche Rolle spielte Deine Familie bei der Berufswahl?

In meiner Familie kam mein Berufswunsch nicht so gut an. Es hieß, Musiker sei kein Beruf, mit dem man sicher Geld verdienen kann. Außerdem wäre der Beruf körperlich sehr anstrengend und damit nichts für einen Bluter. Das war die damalige Meinung.

Weil ich auch ein Talent für Zahlen, Analytik und Prozesse hatte, schlugen mir meine Eltern einen Verwaltungsberuf vor. Ein Beruf im öffentlichen Dienst wäre ein sicherer Job, insbesondere, wenn es mit meinem Körper schlechter werden würde. Damals war man noch der Meinung, dass meine Schädigungen an den Gelenken dazu führen, dass ich mit 30 Jahren nur noch mit Gehhilfe würde laufen können. Man riet mir außerdem zu studieren. Da ich für das Studium der Wirtschaftswissenschaften ein Praktikum benötigte, konnte ich bei einem großen US-amerikanischen IT-Unternehmen arbeiten. Dort fand ich mein Interesse für die Branche. Das Kuriose daran: Ursprünglich wollte ich nicht in die IT-Branche. Mein Vater arbeitete dort im Außendienst und war oft weg von der Familie. Das wollte ich für mich nicht.

3. Wie lief Dein Berufseinstieg? Und wie war Dein beruflicher Werdegang?

Nach meinem Studium fing ich in einem Systemhaus an und war verantwortlich für die technische Bereitstellung von Betriebssystemen und betriebswirtschaftlichen Programmen. Ich musste viel stehen, da es ein PC-Geschäft mit Ladentheke war. Das tat meinen Kniegelenken nicht gut. Ich wechselte in ein anderes Systemhaus. Dort fing ich im Lager und der Logistik an. Aufgrund der vielen körperlichen Arbeit war es sehr anstrengend. Ich habe teilweise palettenweise Ware angenommen, zusammengebaut und ausgeliefert. Später konnte ich zu den Netzwerkleuten wechseln. Der Wechsel war für mich eine Entlastung, da ich von der Arbeit vorher oft Blutungen bekommen habe. Nach vier Jahren bin ich als Systemadministrator zu einer Schweizer Bank. Ich arbeitete hauptsächlich am Schreibtisch. Das kam meinen Gelenkbeschwerden zugute. Nach fünf Jahren bin ich zu einem US-amerikanischen Softwarehersteller gewechselt. Dort arbeitete ich zunächst als technischer Berater und in der Datensicherheit mit viel Kundenkontakt und vielen Dienstreisen. Bei dieser Firma konnte ich auch meine Zertifizierung zum IT-Architect absolvieren. Dreizehn Jahre später wechselte ich zu einem deutschen Softwarehersteller als Solution Architect. Dort arbeite ich seit fünf Jahren und bin mittlerweile Lead Architect. Ich führe Workshops beim Kunden durch (inzwischen meist digital). Hauptsächlich arbeite ich aber strategisch und konzeptionell am Schreibtisch und reise inzwischen weniger.

4. Welche besonderen Erfahrungen mit Hämophilie gab es beim Bewerben?

Es gab einige Firmen, die mich vermutlich nicht einstellen wollten, weil ich Bluter bin. Während des Gesprächs waren sie von meinen Talenten begeistert. Als ich das Thema Hämophilie ansprach, war es erst kein Problem, aber danach kam die Absage.

Je mehr Berufserfahrung ich hatte, desto unbedeutender wurde meine Hämophilie für die Firmen. Meist wussten die Leute nichts von Hämophilie, waren aber neugierig.

5. Wann und wie hast Du von der Hämophilie in den Bewerbungsgesprächen erzählt?

Bei einem Systemhaus ging es über Empfehlung. Bei der Bank habe ich zunächst mein Fachwissen präsentiert und erstmal nichts von der Hämophilie erzählt. Beim Gespräch hatte ich noch eine ausklingende Knieblutung. Da ich stark hinkte, habe ich das Thema Hämophilie dann nach meiner Präsentation proaktiv angesprochen. Ich bekam einen unterschriebenen Arbeitsvertrag und man unterstützte mich. Zum Beispiel wurde ich immer gefragt, ob bestimmte körperliche Tätigkeiten für mich möglich wären. Bei meinem nächsten Arbeitgeber war die Hämophilie im Vorstellungsgespräch kein großes Thema. Ich bekam die Unterstützung, wenn ich danach gefragt habe. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber wurde gefragt, ob sie etwas beachten müssten, wenn ich in den Außendienst gehe. Ansonsten wurde die Entscheidung auf Basis meiner Fähigkeiten und Berufserfahrung getroffen. Die Hämophilie war auch dort kein großes Thema.
Ich habe immer als Erster das Thema Hämophilie angesprochen, da mir Ehrlichkeit und Transparenz sehr wichtig sind. Man sah mir an meinem Gang (durch die geschädigten Gelenke) an, dass da etwas anders war. Daher wollte ich den Eindruck vermeiden, dass ich etwas zu verbergen hätte.

Im nächsten Teil erfahrt Ihr, wie die Gesprächspartner auf die Hämophilie reagiert haben. Ihr lest, ob und welche Unterstützung es im Arbeitsalltag gibt und weshalb die IT-Branche für Menschen mit Hämophilie geeignet ist.

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